Eine Besinnung nicht nur für Politiker
Von P. Franz Schaumann SDB
Am 5. November 2001 verlieh Papst Johannes Paul II. dem Hl. Thomas Morus den Ehrentitel „Patron der Politiker“. Vor fast 500 Jahren schrieb Morus einen Roman: „Utopia: Über den besten Staat“. Ähnlich wie vor ihm Plato und Augustinus beschreibt er darin einen Staat, in dem Gottes Gebote auch im Staat befolgt und umgesetzt werden. Ein fingierter Freund erzählt ihm von diesem Staat auf der Insel Utopia.
Er weiss, diesen Staat gibt es nirgendwo auf der Welt: „ou – topos“. Aber er nimmt sich vor, bevor er als Kanzler in den Dienst seines damaligen Freundes Heinrich VIII. tritt, Gottes Gebote in Wahrheit so weit als möglich in diesem Staat zu verwirklichen. Wir wissen, dass ihn dies später den Kopf gekostet hat.
Versuchen wir nun, den Idealstaat der Insel Utopia mit unserer Lebenswirklichkeit zu vergleichen:
1. Im Staat Utopia gibt es keine Ehescheidungen, weil die Ehepartner schon in der Jugend gelernt haben, sich wieder zu versöhnen, eigene Schuld zuzugeben und nach Möglichkeit wieder gutzumachen, und den anderen aufrichtig um Verzeihung zu bitten.
2. In Utopia wird jedes Kind geboren, weil alle Bewohner begriffen haben, dass die eigenen Kinder das höchste Gut eines Volkes sind und nichts über eine gute Familie geht.
3 . In Utopia hinterlassen die Eltern ihren Kindern keine großen Immobilien und Sparbücher. Sie haben ihre Kinder das Mitarbeiten gelehrt, und sie schenken aus der „warmen Hand“, weil sie wissen: „Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen.“
4 . In Utopia ist kein Mensch einsam, ob klein, alt oder krank. Die Bewohner haben das Beispiel des barmherzigen Samariters vor Augen, der zunächst selbst getan hat, was er tun konnte.
5. In diesem Staat ist es nicht notwendig, Gott in die Verfassung zu schreiben, weil alle ihn im Herzen haben.
6 . Deshalb kommen in Utopia alle gern zum Gottesdienst, und keinem ist er zu lang, weil sie mit dem Dank an Gott für das Gute und Schöne ihres Lebens nicht fertig werden. In dieser Stunde kommen die Mütter zur Ruhe, keiner schimpft über den anderen und alle wissen: Wir gehen von Gott reich beschenkt nach Hause – wie die Hirten, die voller Freude und mit einer neuen Vision von der Krippe wieder zu ihren Schafen und Aufgaben zurückkehrten.
Lassen wir es bei diesen Beispielen. Aber sie machen uns deutlich, dass wir uns schon zu sehr an die gegenteilige traurige Realität gewöhnt haben. Wir Christen dürfen uns nicht anstecken lassen von oft verlockenden Formen des persönlichen und kollektiven Egoismus. Wir müssen wieder Profil zeigen. Nicht, was die Mehrheit macht, ist immer richtig, sondern was mit Gottes Weisung und mit Jesu Beispiel übereinstimmt, ist in Ordnung.
Wir müssen unseren Blick wieder mehr nach oben und zur Seite und nach vorn richten als ständig auf uns selbst und unser Wohlbefinden.
Johannes Paul II. zu Thomas Morus:
Seine Gestalt ist wahrhaft bei spielgebend für jeden, der berufen ist, den Menschen und der Gesellschaft im bürgerlichen und politischen Umfeld zu dienen. Das sprechende Zeugnis, das er abgelegt hat, ist mehr denn je aktuell in einem historischen Augenblick, der das Gewissen dessen, der in der Staatsführung direkte Verantwortung trägt, vor entscheidende Herausforderungen stellt. Als Staatsmann stellt er sich immer in den Dienst der Person, besonders der schwachen und armen. Ehrentitel und Reichtum betörten ihn nicht, da er sich von einem ausgeprägten Sinn für Unparteilichkeit leiten ließ. Vor allem jedoch hat er sich nie zu Kompromissen im Hinblick auf sein Gewissen eingelassen. (…) Ruft ihn an, folgt ihm und ahmt ihn nach! Seine Fürsprache wird euch auch in den heikelsten Situationen Stärke, Heiterkeit, Geduld und Ausdauer schenken.“
FAZ 6.11.2000