von Hubert Gehring / Markus-Liborius Hermann
Unproblematisch ist das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche in Mexiko nie gewesen. Als die Kirche seit dem 16. Jahr- hundert neben der spanischen Krone zu einem der Pfeiler der europäischen Herrschaft in der Neuen Welt wurde, war auch im Gebiet des heutigen Mexiko die faktische Einheit zwischen Kirche und Staat eine Tatsache, die sich erst im 19. Jahrhundert auflöste. Das antiklerikale Reformprogramm von Justizminister Juárez löste 1854 eine Entwicklung aus, die zur strikten Trennung von Staat und Kirche führte, alle Sonderrechte für Kleriker abschaffte und die politische Elite des Landes gegen die Kirche mobilisierte. Mit der Revolution von 1910 verschärfte sich die Lage weiter. Zum Bau von Gotteshäusern oder zur Feier von Gottesdiensten bedurfte es jetzt behördli- cher Genehmigungen. Eine Verbesserung ergab sich erst unter Papst Paul VI., als die Kirche zunehmend als Träger sozialpolitischer Kompetenz gesehen wurde. Heute genießt die Kirche erneut Ansehen, Glaubwürdigkeit und Einfluss, ist jedoch von der Macht früherer Zeiten weit entfernt. Trotz nach wie vor beste- hender Spannungen mit dem Staat stellt die Kirche einen Faktor im gesellschaftlichen Leben Mexikos dar, mit dem wohl auch in Zukunft gerechnet werden muss.
Einleitung
Mai 2002. Papst Johannes Paul II. besucht zum fünften Mal Mexiko. Als Präsident Vincente Fox das Oberhaupt der katholischen Kirche am Flughafen empfängt, küsst er aus Verehrung seinen Ring. Ein Aufschrei geht durch die politischen Parteien Mexikos: Gesetzesbruch! Und das Interessante ist: Sie haben Recht. (Das Gesetz für Religiöse Gemeinschaften und Öffentlichen Kult (LARCP), Art. 25, untersagt es Regierungsmitgliedern als solchen, an Akten des öffentlichen Kultes teilzunehmen. Der Empfang des Papstes als Staatsoberhaupt war demnach problemlos, der Kuss des Ringes aber war Fox gesetzlich nicht gestattet.)
Welches Verhältnis herrscht zwischen dem mexikanischen Staat und der katholischen Kirche? Wie groß ist der Einfluss der Kirche auf die Politik Mexikos? Welche Rolle spielt sie in diesem Land, in dem fast 90 Prozent der Bevölkerung katholisch sind, und welche könnte sie in Zukunft spielen?
Um diese Fragen zu beantworten, muss man zunächst einen Blick in Mexikos Vergangenheit werfen.
Von der Conquista zur Unabhängigkeit – Einheit von Kirche und Staat
Die Geschichte der katholischen Kirche in Mexiko ist in ihren Anfängen untrennbar mit der Spaniens ver- bunden. Die spanische Krone benötigte eine Recht- fertigung für die Eroberung des neuen Kontinents, und die katholische Kirche lieferte sie. In den sogenannten Schenkungsbullen von 1493 (Hier seien nur Inter cetera (3. und 4. Mai 1493) und Piis fidelium (25. Juni 1493) genannt.) gewährte Papst Alexander VI. den Spaniern die Rechte über alle ent- deckten und noch zu entdeckenden Gebiete – unter der Bedingung, dass sie die Evangelisierung des neu entdeckten Kontinents förderten und die Kirche schützten. So entwickelte sich eine Einheit von Kirche und Staat, die durch das so genannte Patronat ab 1508 noch vertieft wurde. Dieses wurde den spanischen Königen auf Grund der Verdienste bei der Verbreitung und Verteidigung des christlichen Glaubens verliehen und räumte ihnen noch weiter gehende Rechte, auch über die Kirche selbst, ein. (Zum Beispiel hatte die spanische Krone Vorschlagsrechte bei der Ernennung von Bischöfen, welche anschließend dem König einen Treueid leisten mussten.)
Die institutionelle Nähe der katholischen Kirche zur spanischen Krone hat sie zu einem der wichtigsten Pfeiler der europäischen Herrschaft über die indigenen Völker werden lassen. Aus diesem Grund war die christliche Mission in Lateinamerika von Unrecht und Gewalt begleitet, aber auch vom Mut von Missionaren, die sich diesen Entgleisungen widersetzten und für die Entrechteten und Armen eintraten. Denn den Ordensleuten, durch die die christliche Mission im Wesentlichen getragen wurde, war schon sehr früh die Unvereinbarkeit der gewaltsamen Methoden mit dem Evangelisierungsauftrag bewusst geworden, doch hatten sie nicht den Einfluss, die Zustände zu ändern. Zu Konfrontationen zwischen der Kirche und dem Staat führte auch die Bulle Sublimis Deus vom 9. Juni 1537, die den Indio explizit als Geschöpf Gottes, dass den Glauben annehmen kann, beschreibt. Deshalb, so das päpstliche Schreiben, verfüge er über Freiheits- und Besitzrechte, die ihm nicht genommen werden können.
Auszug aus Sublimis Deus:
„Deshalb bestimmen und erklären wir, dass die genannten Indios und alle anderen Völker, die von jetzt an den Christen bekannt werden, auch wenn sie außerhalb des Glaubens an Jesus Christus sind, auf keine Weise ihrer Freiheit oder der Herrschaft über ihre Güter beraubt werden dürfen und erlaubterweise von ihrer Freiheit und ihrem Besitz Gebrauch machen können, und dass man sie auf keinerlei Weise zu Sklaven machen darf. Alles, was im Gegensatz hierzu getan wird, ist null und nichtig.“
Zu der Bulle Sublimis Deus gehörte auch das Breve Pastorale officium und das später zurückgenommene Breve Veritas ipsa, die den Auftrag enthielten, die Einhaltung und Durchführung der Bulle mit Kirchenstrafen bis hin zur Exkommunikation zu überwachen.
Als ein weiteres Beispiel sei der Dominikaner San Bartolomé de las Casas (1474–1566) angeführt, der als Bischof in seinem Bistum in Chiapas für die Rechte der indigenen Bevölkerung kämpfte. Doch bleibt festzuhalten, dass die katholische Kirche in einem sehr engen Verhältnis zur weltlichen Führung des Vize-Königreichs Neu-Spanien (= Mexiko) stand. Sie hat durch die Expansion Spaniens, des Garanten des Katholizismus, auf dem neuen Kontinent Fuß fassen können. In den ersten drei Jahrhunderten europäischer Präsenz in Mexiko bestand zwischen Erziehen und Evangelisieren, zwischen Kultur und Religion, zwischen Kirche und Staat kein wirklicher Unterschied.