Heiliges Spiel – Eine Frau aus Lüttich war die Erfinderin von Fronleichnam

von Alexander Brüggemann / Fronleichnam (mittelhochdeutsch für „Herrenleib“) ist für viele Menschen das seltsamste Fest der Katholiken. Verehrt und in einer Prozession öffentlich gezeigt wird „der Leib Christi“ – ein Bedürfnis aus dem Mittelalter. Wie das Fest entstand, das ist eine der ungewöhnlichsten Kirchen-Geschichten. Lüttich. Frömmigkeit und Hartnäckigkeit, das waren die Antriebsfedern einer ungewöhnlichen Kirchen-Ge- schichte. Sie spielt im Hochmittelalter in der Region Lüttich in Belgien und handelt von einer Ordensfrau, die fast im Alleingang eines der katholischsten Feste überhaupt ins Leben rief.

Mit 16 Jahren hatte die später heiliggesprochene Au- gustinerchorfrau Juliana von Lüttich, auch von Cornil- lon (um 1192 – 1258) aus dem Kloster der Augustinerin- nen auf dem Mont Cornillon eine Vision – die in erster Konsequenz zu ihrer Vertreibung aus dem Kloster und in zweiter Konsequenz zur Einführung des Fronleich- namsfestes führte.

Wahrscheinlich im Jahr 1192 in Retinne bei Lüttich ge- boren, wurde das Mädchen aus betuchtem Hause mit fünf Jahren zur Vollwaisen. Schon früh fiel Juliana, die in die Obhut einer Ordensfrau des Wirtschaftshofs auf dem Mont Cornillon kam, durch zwei Besonderheiten auf: durch ihren Wissensdrang und durch die Anzie- hung, die die Kapelle und vor allem der Tabernakel mit der geweihten Hostie auf sie ausübten.

Zum zentralen Ereignis ihres Lebens wurde eine Vision im Jahr 1209, die sich später mehrfach wiederholte. Ins Gebet versunken, sah Juliana von Lüttich die Mond- scheibe mit einem kleinen schwarzen Fleck darauf – ein seltenes Himmelsphänomen: Die Venus schiebt sich als dunkler Fleck vor der Sonne her. Diese „Venustransit“ genannte Konstellation wird übrigens erst im Jahr 2117 wieder am Himmel zu beobachten sein.

Nach Gesprächen mit Theologen deutete Sr. Juliana ihre Erscheinung schließlich als Weisung Christi: Der Mond stehe für das Kirchenjahr, der Fleck aber für das Fehlen eines Festes zur Verehrung der heiligen Hostie. Über Jahrzehnte behielt die Ordensfrau diesen Auftrag für sich. Als sie dann schließlich im Jahr 1230 zur Obe- rin ihres Klosters gewählt wurde, erntete sie mit ihrem Vorstoß für ein Eucharistiefest Spott und Widerspruch. War es aufgrund dieser „religiösen Schwärmerei“ oder aufgrund ihres strengen Führungsstils, dass man sie aus ihrem Konvent vertrieb?

Mit einigen Getreuen begann Sr. Juliana ein Wander- leben zwischen mehreren Klöstern der Region. Seit 1248 lebte sie als Reklusin in Fosses – freiwillig ein- geschlossen, um dort Gott allein zu dienen. Zehn Jahre später, 1258, starb sie dort. Papst Urban IV. (vor 1200 – 1264) – als Jakob von Troyes bis 1251 Erzdiakon in Lüttich, Beichtvater und einer der wenigen Vertrauten von Sr. Juliana – erhob das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“ Anno 1264, sechs Jahre nach ihrem Tod, zum allgemeinen Kirchenfest. Das mittelhochdeutsche „vronlicham“ bedeutet ebendies: „Herrenleib“.

Julianas ekstatische Verehrung der Eucharistie war eine Frömmigkeitsform, die für ihre Umgebung typisch war. Fronleichnam ist ein Schaufest, entstanden in ei- ner Zeit, als die aktive Teilnahme der Gläubigen am liturgischen Geschehen weitgehend durch das Zusehen beim „heiligen Spiel“ der Priester ersetzt worden war.

Die frühen Christen kannten noch keine Verehrung der geweihten Hostie. Erst nachdem das Christentum im 4. Jahrhundert Staatsreligion wurde, übernahm es viele Herrschaftsrituale des Kaiserkults. Die Liturgie und die Eucharistie wurden mehr und mehr zum Schau-Spiel. Die Idee des gemeinsamen Mahls trat zurück.

Schon in den 1270er Jahren verlief die erste Fronleich- namsprozession, die dem Fest sein außergewöhnliches Gepräge geben sollte, durch die Straßen von Köln. Ein solcher Umzug war bei der päpstlichen Einsetzung ur- sprünglich gar nicht vorgesehen – und doch passt er zu Fronleichnam als Sinnbild gelebten Christentums. Die Prozession steht für das Ziehen des Gottesvolkes durch die Zeit.

Martin Luther galt Fronleichnam als das „allerschäd- lichste Jahresfest“; Prozessionen waren für ihn Got- teslästerung. Für die Katholiken war der Umzug zu Fronleichnam oft eine kämpferische und prachtvolle Demonstration ihrer Frömmigkeit. In der NS-Zeit, der großen Zeit der politischen Aufmärsche, war die Prozes- sion durch die Stadt vielerorts ein Akt passiven politi- schen Widerstands. Eine Dimension, die die fromme Or- densfrau Juliana sicher nicht im Blick hatte.

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