VON PETER HUMMEL / Immer im Herbst versammeln sich Journalistenschüler und Absolventen des ifp zum Jahrestreffen. Das Jubiläumsjahr verlangte ein besonderes Programm – und bot in Rom eine außergewöhnliche Begegnung. Über den Besuch beim Papst und warum hinterher nichts mehr ist, wie es vorher war.
Auf der ganzen Welt gibt es rund 1,285 Milliarden Katholiken. Hätte der Papst den Plan, all diesen Menschen kurz die Hand zu geben, was pro Person etwa 3 Sekunden dauert, wäre er damit ziemlich genau 122 Jahre und gut 2 Monate beschäftigt. Ohne Pause. Nicht auszudenken, auf welch absurde Ideen in dieser Zeit seine Kurie käme, wie viele Briefe ehemalige US-Nuntiusse schreiben könnten und wie oft Georg Gänswein seine schwarze Aktenkladde auf und zu machen müsste, um den nächsten Programmpunkt abzuchecken.
Kurzum, ein solches Projekt ist einigermaßen unrealistisch, auch wenn der Papst daran womöglich Spaß hätte und für nicht wenige der 1,285 Milliarden Katholiken ein Lebenstraum in Erfüllung ginge. Insofern muss der Heilige Stuhl eine Auswahl treffen, wer dem Papst gegenübertreten darf. Donald Trump zum Beispiel, Marc Zuckerberg, die Fußballspieler von Borussia Dortmund, Absolventen der katholischen Journalistenschule ifp.
Also wir.
360 Menschen von 1,285 Milliarden. Was für ein Privileg, was für eine Freude und, ja, was für ein Wunder. Die Wahrscheinlichkeit, einen Sechser im Lotto zu haben, ist ähnlich gering wie jene, sich an einem Freitagvormittag nach dem Sicherheitscheck auf dem Petersplatz nicht links in die Schlange zum Petersdom einordnen zu müssen, sondern rechts abzubiegen zu dürfen. Also dorthin geleitet zu werden, wo sich eine große, grüne Türe öffnet, wo imposante Treppen dahinter damit locken, den Herzschlag nicht der Stufen, sondern des Zieles wegen Schritt für Schritt zu erhöhen. Und wo sich durch bleiverglaste Fenster Ausblicke auf die Ewige Stadt eröffnen, die eigentlich dem Papst vorbehalten sind. Oder seinen Gästen, also uns, den Zweiflern, die sich in Gedanken hinter jeder Ecke, hinter jedem Schweizer Gardisten, hinter all den vielen Heiligenbildern kneifen, weil sie sich fragen: Ist es wirklich der Papst, der auf mich wartet? Gerade auf mich, der noch vor wenigen Tagen mit dem lieben Gott darüber haderte, dass der FC Augsburg in den letzten Minuten im Spiel gegen Hoffenheim den Sieg aus der Hand gab.
Noch eine Treppe, noch ein langer Gang, dann geht es nach links, nochmal nach links und schließlich eröffnet sich den Herzklopfenden die mit Gemälden übersäte Sala Clementina, jener Raum, in dem wir den Papst treffen. Wobei „treffen“ sicher nicht der passende Begriff ist, sondern vielmehr kommt er herein und wir hängen an ihm. An seinen Lippen, an seinem Lachen, irgendwann alle auch für drei Sekunden an seiner Hand. An der Hand des Heiligen Vaters, die sich so weich anfühlt, dass sich die einen fragen, welche Handcreme er verwendet und die anderen, wo zu Hause eigentlich der Tiegel mit der Handcreme steht.
Aber letztlich ist es der Augenkontakt mit dem Papst, der bei 3 Sekunden natürlich zeitlich begrenzt ist, bei dem ich aber das Gefühl habe: Der Papst nimmt sich Zeit für dich, interessiert sich für dich, schließt dich mit seiner unfassbar konstanten Freundlichkeit in den Arm – und gibt dir gleichzeitig mit einem winzig kleinen Nachblicker beim Abgang zu verstehen, dass es amateurhaft ist, mit Gott eines Profi-Fußballspiels wegen zu hadern.
Ich nehme diese drei Sekunden mit dem Papst aus Rom mit nach Hause, mit in mein restliches Leben, mit in die unauslöschlichen Erinnerungen an dieses wundervolle ifp-Jahrestreffen. Viele von uns werden daran denken, wenn wir bald 2018 Revue passieren lassen, immer dann, wenn wir mit unserer Journalistenschule zu tun haben, irgendwann vielleicht, wenn wir unseren Enkeln von früher erzählen.
Man phrasiert ja manchmal nach dem Treffen mit Prominenten, dass man sich danach die Hände nicht reinigt. Nein, ich bin vielmehr mit dem Bedürfnis aus dieser Begegnung mit Papst Franziskus gegangen, die DNA dieses Mannes hinaus in die Welt zu waschen. In alle Kanäle, die ich erreiche, in all die Flüsse der Ignoranz in unserem Alltag, in dieses allgegenwärtige Meer aus Egoismus und Gewalt.
Papst Franziskus hat in seiner Ansprache an das ifp gesagt: „Danke, dass Sie Unrecht nennen, was Unrecht ist.“ Was für ein Auftrag in diesem als Dank formulierten Satz doch steckt, nämlich den Clementina-Prunk und die vatikanische Zeremonien-Show und die samtrot bezogenen Stühle als Journalistinnen und Journalisten zu verlassen, die sich immer wieder darauf besinnen, warum sie diesen Beruf ergriffen haben. Ich habe diese 3 Sekunden so verstanden: Lass dich nicht entmutigen, ich bin auf deiner Seite, du bist einer von mir.
Man muss vermutlich Papst sein, der Stellvertreter Christi auf Erden, um in einer so kurzen Zeitspanne einen Pakt zu kommunizieren, der für die Ewigkeit taugt.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen und euch ergangen ist, aber ich schlenderte nach der Audienz durch die Peterskirche, richtete den Blick mal nach vorne, rüber zu Johannes XXIII., dann hoch zur Kuppel – und zwang mich geradezu, beeindruckt zu sein. Aber das ging nicht. Man kann nicht staunen, und ist das Monument auch noch so groß, wenn der Papst einem gerade gesagt hat, man solle für ihn beten. Denn unweigerlich stellt man sich die Frage: Wie passt das alles zusammen? Wie passe ich hierher? Ich, einer von 1,285 Milliarden. Ein Glückspilz, ja. Aber Glück ist flüchtig. Die Erinnerung dagegen bleibt – und mit ihr ein Job, den uns Franziskus mit auf den Weg gab, obwohl er ihn nicht so formulierte: Den Vatikan von innen gesehen zu haben, die breiten Treppen, die samtroten Stühle, die Heiligenbilder, die grandiosen Aussichten, all das ist ganz nett, viel wichtiger aber ist es, den Menschen nah zu sein.