VON KLAUS EHRINGFELD, SPIEGEL ONLINE
Seit Wochen schon hat Maria Castro Eimer bereitgestellt, Schüsseln zweckentfremdet und Kanister gebunkert. Die Wasserbehörde von Mexiko-Stadt kündigte Mitte September an, den Bewohnern von Donnerstag an für drei Tage das Wasser abzudrehen, weil ein Versorgungssystem gewartet werden muss. Seitdem ist die 46-Jährige in leichter Panik. „Ich kann mir so viele Tage ohne Wasser nicht vorstellen“, sagt sie. Es gibt kaum einen Winkel in ihrer Wohnung im Stadtteil Condesa, in dem nicht ein Behälter mit Wasser steht.
Die Einwohner der größten Stadt Lateinamerikas haben sich an einen verschwenderischen Umgang mit Wasser gewöhnt. Es gibt kein Bewusstsein, dass es gerade in ihrer Stadt immer knapper wird. 312 Liter verbraucht jeder der rund 22 Millionen Einwohner pro Tag, wie eine Studie der staatlichen Universität UNAM belegt. Einer der höchsten Werte weltweit. Zum Vergleich: In Deutschland kommen die Menschen mit 121 Litern pro Tag aus.
Was Maria Castro jetzt über eine halbe Woche erlebt, ist in ärmeren Stadteilen der Metropole schon längst Realität. In Iztapalapa, einem Viertel mit der Einwohnerzahl Hamburgs, kommt mehrere Monate im Jahr eher heiße Luft aus dem Hahn. Rund 1,3 Millionen Menschen im Großraum Mexiko-Stadt leben ganz ohne Zugang zu fließendem Wasser.
Insofern könnte die größte Wassersperre in der Geschichte Mexiko-Stadts helfen, einen bewussteren Umgang mit der Ressource zu erlernen. Man wäscht hier gerne täglich das Auto, sprengt in den besseren Vierteln die Grünflächen. Aber auch in den weniger gut situierten Stadtteilen reinigen die Menschen den Bürgersteig vor dem Haus gerne mit Frischwasser.
Nun aber wird die Stadt in Teilen aufs Trockene gelegt, und schon hört sie auf zu funktionieren. Restaurants, Waschsalons, Fitnessstudios und Schönheitssalons schließen, Arztpraxen machen dicht, es gibt schulfrei, Universitäten schicken die Studenten in den Kurzurlaub. Öffentliche Veranstaltungen werden abgesagt. Vermietungsplattformen stornieren kostenlos Reservierungen.
Die Leitungen undicht, die Pumpen kaputt
Die Reparaturen sind notwendig, um die Versorgung der Stadt auch weiterhin zu sichern. Das Versorgungssystem Cutzamala, das über hundert Kilometer von der Metropole entfernt ist, muss nicht nur überholt, sondern auch erweitert werden. Die hochkomplexe Anlage aus Flüssen, Stauanlagen, Pumpstationen und Aufbereitungsbecken jagt pro Sekunde 10.000 Liter Wasser in die Hauptstadt. Nun soll unter anderem eine zweite Leitung gelegt werden, damit künftig eine beständige Versorgung gesichert ist. Aus Cutzamala kommt rund ein Drittel des Wassers, das die Hauptstadtbewohner verbrauchen.
Mexiko-Stadt ist ein gutes Beispiel für die Wasserprobleme schnell wachsender Megacities: Es leben zu viele Menschen dort, die Leitungen sind undicht, die Pumpen kaputt. Gleichzeitig sind die Preise für Frischwasser zu niedrig, oft ist das Wasser qualitativ aber auch schlecht. Und es fehlt das Bewusstsein für die knappe Ressource – und dem Staat fallen kaum nachhaltige Lösungen für das Problem ein.
Andere Städte in Lateinamerika kennen das Dilemma. Zu den Orten mit den größten Wasserproblemen weltweit gehören neben Mexiko-Stadt auch Lima und São Paulo. Überall drohen Klimawandel, Verstädterung, Ausschluss der Armen von der Versorgung und die wirtschaftliche Verwertung eines Rohstoffs, der von Betroffenen und sozialen Organisationen als Menschenrecht definiert wird.
„Nur mit der täglichen Dusche wird es schwer aus dem Kanister“
In Mexico-Stadt verschärfen geografische Nachteile die menschengemachten Probleme. Die Metropole liegt fernab jeden Gewässers und zudem auf einer Hochebene über 2200 Meter. Es sei schlicht unmöglich, eine derart gigantische Stadt dauerhaft und umweltverträglich mit Wasser zu versorgen, warnen Experten seit Jahren.
Fast zwei Drittel des Wassers, das im Großraum Mexiko verbraucht wird, kommt aus Tiefenbrunnen. Mehr als 2000 Pumpen verteilt über das ganze Stadtgebiet saugen jeden Tag Millionen Liter immer tiefer unter der Betonwüste hervor. Das Ergebnis: Teile der Stadt sacken ab. Lediglich zehn Prozent des Bedarfs werden aus Oberflächenwasser wie Flüssen, Regenwasser und ähnlichem gedeckt. Eine Verteilung, die schon auf mittlere Sicht nicht mehr tragbar ist.
Während des ersten Tages der Wassersperre verzeichnete die Stadtverwaltung 359 Notrufe, in denen Betroffene die kostenfreie Lieferung von Wasser aus Tankwagen bestellten. Die Notrufe würden sicher übers Wochenende zunehmen, vermutet Ramón Aguirre von der Wasserbehörde der Stadt, Sacmex. Am Sonntag dürfte dann in großen Teilen der Stadt kein Wasser mehr aus dem Hahn fließen. Für Maria Castro kein Problem. Sie ist vorbereitet. „Nur mit der täglichen Dusche wird es schwer aus dem Kanister.“