Dieser Artikel erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung am 14.1.17.
Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. In den vergangenen Tagen ist Mexiko von zum Teil gewaltsamen Protesten heimgesucht worden, die sich vordergründig gegen die von der Regierung beschlossene Benzinpreiserhöhung um 20 Prozent richten. Die Massnahme sei notwendig, erklärte Präsident Enrique Peña Nieto. Der bisherige Preis könne wegen der Abwertung des Peso und der steigenden Importpreise nicht mehr gehalten werden. Mexiko importiert einen grossen Teil des benötigten Benzins – vorwiegend aus den USA.
Als Peña Nieto die Energiereform vorstellte, welche die Öffnung und Privatisierung des mexikanischen Energiesektors einläutete, hatte er tiefere Preise versprochen. Doch das Gegenteil ist eingetroffen, und das nicht nur beim Benzin. Ganz allgemein haben die Strukturreformen, mit denen Peña Nieto die angeschlagene Wirtschaft ins Lot bringen wollte, bisher kaum positive Effekte gezeigt – weder wirtschaftlich noch sozial. Das Haushaltsdefizit ist auf mehr als 4 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) angewachsen, die Staatsverschuldung hat 50 Prozent des BIP überschritten, und auf ein robustes Wachstum wartet Mexiko weiterhin. Der Fall des Erdölpreises ist nur teilweise daran schuld.
Die Frustration der Bevölkerung ist nachvollziehbar. Denn mit den Energiepreisen verteuern sich ihre Lebenskosten unmittelbar. Das trifft alle, doch besonders die Ärmsten. Die Mexikaner sehen nicht ein, weshalb sie nun die Rechnung für eine Reform bezahlen sollen, die bisher noch keine Verbesserung gebracht hat.
Eine diffuse Angst
Die Hoffnungen, die viele Mexikaner in Peña Nieto gesetzt haben, lösen sich vier Jahre nach seinem Amtsantritt in Luft auf. Und die Enttäuschung mischt sich mit einer diffusen Angst, vor dem, was alles noch kommen könnte, wenn Donald Trump seine Versprechungen wahr macht und Mexiko den Teppich unter den Füssen wegzieht. Die wirtschaftliche Stabilität steht auf dem Spiel, die Mexiko einen fragilen sozialen Frieden garantiert. Peña Nieto hätte sich keinen schlechteren Moment aussuchen können, um die Löcher im Haushalt über den Benzinpreis zu stopfen.
Doch das allein erklärt nicht, wie es Peña Nieto zum unbeliebtesten Präsidenten seit Beginn der entsprechenden Erhebungen gebracht hat. Gerade noch 25 Prozent beträgt seine Popularität in den vorteilhaftesten Umfragen. Der miserable Zustand Mexikos könnte eine Erklärung dafür sein: Das organisierte Verbrechen kontrolliert ganze Landesteile, wobei seine Verbindungen weit in die Politik und die Institutionen reichen. Jährlich verschwinden Tausende von Personen, Menschenrechtsverletzungen werden begangen. Der Konflikt um die Bildungsreform ist ungelöst, die Armutsrate liegt weiterhin bei rund 50 Prozent, während die Kaufkraft der Mexikaner 2016 um mehr als 10 Prozent zurückgegangen ist. Und die Korruption blüht wie eh und je.
In den vergangenen Wochen kamen diverse Fälle von ranghohen Funktionären und Gouverneuren ans Licht, die sich illegal bereichert haben. Am stossendsten ist wohl der Fall des früheren Gouverneurs von Veracruz, dem insgesamt 70 Korruptionsdelikte angelastet werden, der aber immer noch nicht gefasst worden ist – aus Unvermögen oder fehlendem Willen.
In das Kapitel Selbstbereicherung fällt auch der Bonus von bis zu 25 000 Dollar, den sich die Abgeordneten und hohen Staatsfunktionäre vor Weihnachten auszahlten. Die Zügellosigkeit der politischen Elite macht Mexiko wütend, dass der Präsident dem Treiben schweigend zusieht, ebenso.
Schlechtes Omen für 2018
Das Misstrauen der Mexikaner richtet sich nicht nur gegen Peña Nieto oder die Regierung, sondern gegen den Staat als Ganzes. Und wenn in Mexiko vom Staat die Rede ist, dann ist damit implizit der Partido Revolucionario Institucional (PRI) gemeint. Ausser den zwölf Jahren Unterbruch durch die konservativen Präsidenten ist die Partei seit 1929 an der Macht und hat auf regionaler und lokaler Ebene weiterhin in weiten Teilen Mexikos eine hegemoniale Stellung inne.
Mit der Entfremdung der Bevölkerung von der Regierung und vom Staat drohen dem PRI weitere Niederlagen. Die Regionalwahlen im Juni letzten Jahres, in denen der PRI mehrere bisher unangefochtene Gliedstaaten verlor, waren ein schlechtes Omen für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2018. Nächster Anhaltspunkt dürfte die Gouverneurswahl im kommenden Juni im Gliedstaat México sein, der absoluten Hochburg des PRI.
Linker Messias
Einer der Präsidentschaftskandidaten für 2018 ist bereits in den Startlöchern: Andrés Manuel López Obrador. Zweimal war López Obrador erfolglos für den gemässigt linken Partido de la Revolución Democrática (PRD) angetreten. Nach der verlorenen Wahl 2012 spaltete er sich jedoch ab und gründete seine eigene Partei, den Movimiento de Regeneración Nacional (Morena), der ein radikaleres Profil als der pragmatische PRD aufweist.
Viele handeln López Obrador bereits als Mexikos populistische Antwort auf Donald Trump. Es dürfte kein Zufall sein, dass er sein Programm für die noch inoffizielle Kandidatur nur zwei Wochen nach Trumps Wahlsieg präsentierte.