Zerbrochene Beziehungen?

In der Erzählung vom Paradiesgarten sehen wir die ersten Menschen in heilen Beziehungen leben. Ihr Verhältnis zu Gott ist ein kindlich-unmittelbares, nicht getrübt von Zweifel, geschweige denn von Angst. Sie haben den natürlichsten Umgang mit Gott, sie sprechen mit ihm und vertrauen ihm; nichts steht zwischen ihnen.


Auch zwischen Adam und Eva scheint es nichts Störendes zu geben. In der größten Unbefangenheit begegnen sie einander in völliger Offenheit – keine Scham, keine Hintergedanken, keine Missverständnisse zwischen Mann und Frau. Ihre Nacktheit steht letztlich für die Sicherheit, mit der sie leben. Es gibt keinen Grund, sich zu schützen. Niemand ist da, der ihnen Schaden zufügen könnte. Schon gar nicht der Partner. Dafür hat Gott gesorgt.


Diese wunderbare Vision von einem glücklichen Leben steht am Anfang unseres christlichen Glaubens. Gott lebt nicht nur selber in ungetrübter Seligkeit, er möchte auch seinen Geschöpfen Anteil an seiner Freude geben. Wie er selbst in der erfüllendsten Beziehung zwischen den drei Personen lebt, möchte er es auch für seine Geschöpfe. Sie sollen Beziehungswesen sein. Empfangen und Schenken soll ihre Natur sein.


Wir wissen, das diese Idylle nicht von Dauer war. „Die Schlange war listiger als alle anderen Tiere.“ Und in ihrer Schläue attackiert sie zuerst diesen heiligsten und zugleich verletzlichsten Punkt des Menschen: seine Beziehungsfähigkeit. In ihrer Bosheit sieht sie, dass zuerst das Verhältnis des kindlichen Vertrauens zu Gott aus dem Weg geräumt werden muß – alles andere ergibt sich dann womöglich von selbst. Mit der List der Lüge bringt sie das zerstörerische Mißtrauen gegenüber Gott in die Welt: „Hat Gott wirklich gesagt…?“ Und plötzlich war es geboren im Herzen der Menschen: das Mißtrauen der Quelle des Lebens gegenüber.


Der Rest ist Geschichte: es beginnt das verderbliche Versteckspiel: „Wo bist du?“ – „Ich war es nicht.“ – „Ich hatte Angst.“ Gott, der Geber alles Guten – eine Bedrohung für den Menschen. Auch die Harmonie zwischen den Geschlechtern ist dahin. Überall lauert jetzt die Gefahr des Zukurzkommens des Ausgenutztwerdens, des Mißbrauchtwerdens. Man muß sich schützen; man muß sich bedeckt halten. Das ist der unerträgliche Zustand unserer menschlichen Natur. Wir kennen das Mißtrauen nur zu gut.


Aus menschlicher Sicht gibt es aus dieser Situation kein Entkommen, es sei denn, man gibt der Geschichte eine ganz andere Deutung. Das versuchen manche mit folgender Deutung: In Wirklichkeit sei der Verlust des Paradieses der Beginn eines umumkehrbaren Reifeprozesses des Menschen gewesen, der bis heute anhält. Nach dem Sündenfall sei er noch mehr wie Gott geworden, denn jetzt erst kann er zwischen Gut und Böse entscheiden. Es sei seine wahre Natur, sich aus jeder noch so gut gemeinten Heteronome zu befreien. Er möchte eben Herr sein, koste es was es wolle.


Die christliche Auslegung ist freilich eine andere. Hier ist es wiederum Gott, der zu Hilfe kommt. Sein Sohn Jesus Christus setzt sich dieser Situation der bedrohten Beziehungen aus. Bei seinem vierzigtägigen Fasten in der Wüste wird bei den Versuchungen Jesu durch den Teufel wiederum die Beziehungsfähigkeit des Menschen attackiert: „Dein Vater wird dich nicht ernähren, er wird dich nicht unversehrt durchs Leben gehen lassen und am Ende wird nichts für dich herausspringen“, flüstert der Teufel Jesus ins Ohr. Der Sohn Gottes zeigte in diesen Versuchungen jedoch die wahre Stärke der Beziehungsfähigkeit des Menschen. Er bleibt standhaft und zweifelt nicht. Es gibt keinen Grund, Gott zu mißtrauen.


Man muß nicht besonders clever sein, um zu sehen, an welcher Stelle die Menschheit heute ihre schlimmsten Versuchungen erleidet. Die menschlichen Beziehungen sind es, die den Menschen wachsen und reifen (oder eben verkümmern und siechen) lassen. An Ostern feiern wir auch, dass unsere menschliche Natur durch die Erlösung wiederhergestellt wurde in ihrer ursprünglichen Ausrichtung. Unsere Beziehungsfähigkeit zu Gott und zu unseren Mitmenschen kann an diesem Fest geheilt werden.

Ich wünsche allen ein gesegnetes Osterfest!

Mathias Faustmann